Deutscher Meister aus Hohenlohe:
Über das Gefühl, im Blindentennis den Ball zu treffen
Tobias Nitschmann verliert langsam sein Augenlicht. Jetzt ist der Tennis-Neuling Deutscher Meister geworden – und hat weitere Ziele.
Vier Prozent Sehkraft hat Tobias Nitschmann noch − und sie schwindet wegen einer erblichen Krankheit weiter. Durch Zufall kam er vor gerade einmal zwei Jahren zum Tennissport. Jetzt hat er bei den Deutschen Meisterschaften für Blinde und Sehbehinderte gewonnen.
Herr Nitschmann, plötzlich Deutscher Meister: Wie fühlt sich das an?
Tobias Nitschmann: Wenn man an Deutsche Meister denkt, dann hat man ja im Kopf: jahrzehntelange Vorbereitung, dann gibt es ein großes Event und eine Riesenshow. Aber bei uns ist es ein überschaubarer Rahmen. Das ist ja eine Nischensportart, muss man sagen. Und deswegen ist es ein komisches, aber natürlich tolles Gefühl.
Bei Menschen mit Sehbehinderung denkt man eigentlich nicht gleich an eine Ballsportart ...
Nitschmann: Ja gut, ich habe eigentlich mit dem Rennradfahren angefangen. Da habe ich mich einfach immer am Rand der Straße orientiert. Ich kann gut noch Konturen erkennen. Und deswegen war ich früher tatsächlich viel mit dem Rennrad unterwegs. Aber inzwischen ist es mir einfach zu riskant, weil man da ja doch auch recht fix unterwegs ist. Und dann bin ich eigentlich aufs Laufen umgestiegen. An Tennis hatte ich eigentlich auch nie gedacht.
Wie kamen Sie denn auf die Idee, Tennis zu spielen?
Nitschmann: Das hat sich total zufällig ergeben, vor zwei oder zweieinhalb Jahren. Da ist meine jetzige Trainerin Ekaterina nach Langenburg gezogen. Sie und ihr Mann sind bei uns vorbeispaziert, als wir gerade mit dem Hausbau beschäftigt waren. Wir kamen ins Gespräch. Ich habe gesagt, bei mir ist das nix mit Tennis, wegen der Sehbehinderung. Da meinte Ekaterina, dass das eben doch möglich sei! Dadurch haben wir dann gemeinsam mit dem Blindentennis angefangen.
Da sind Sie direkt auf den Tennisplatz und haben angefangen?
Nitschmann: Sie hat beim Langenburger Tennisclub den Stein ins Rollen gebracht, mit dem Thema Inklusion im Tennis. Dann hat sich der Verein um Fördergelder bemüht − da ist ja spezielle Ausrüstung nötig.
Ihre Trainerin kann sehen. Wie bringt sie denn Tennisspielen bei?
Nitschmann: Ich glaube, das unterscheidet sich kaum vom Training mit Menschen, die sehen können. Man hat das kleinere Feld und die anderen Bälle. Früher hatte man noch die kleineren Schläger, die Jugendschläger, inzwischen spielen wir mit der normalen Größe. Wahrscheinlich muss sie mehr verbal erklären, als dass sie es zeigt. Ich kann halt nicht auf das gegnerische Feld gucken. Wenn sie etwas zeigt, müssen wir auf einer Seite stehen.
Was war das dann für ein Gefühl, zu spielen?
Nitschmann: Am Anfang war das ziemlich unbeholfen, würde ich behaupten. Also, Spaß hat es sofort gemacht. Ich musste sozusagen ein Ballgefühl entwickeln für diesen Ball und für den Schläger. Dann aber auf dem Platz zu stehen und nach kurzer Zeit den Ball überhaupt zu treffen, war ein tolles Gefühl. Und dann umso mehr, den immer besser platzieren zu können.
Im Winter trainiert Tobias Nitschmann mit Ekaterina Strauß in der Ingelfinger Tennishalle.
Foto: Götz Greiner
Wie kam es dazu, dass Sie an der Deutschen Meisterschaft teilgenommen haben?
Nitschmann: Übers Jahr gibt es nur ein paar Turniere für Sehbehinderte, das ist sehr überschaubar. Es gibt mehrere Veranstaltungen, drei davon sind wirklich Turniere und zwei oder drei sind Workshops, wo es also weniger um Matches oder das Punkte-Ausspielen geht, sondern das sind dann Trainingstage. Wenn du dann spielen willst, musst du eigentlich einfach alles mitnehmen. Ich habe auch wenige Möglichkeiten, im Alltag mit Gleichgesinnten zu spielen. Deswegen sind diese Turniere einfach wichtig. Und die, die es gibt, möchte ich nutzen. Eine davon ist die Deutsche Meisterschaft in Löhne in Nordrhein-Westfalen.
Im Finale hatten Sie ja dann einen Gegner vom HSV, ein Verein, der aus dem Fußball bekannt ist. Haben Sie Kontakt zu Menschen mit Sehbehinderung in anderen Vereinen?
Nitschmann: Ja, es gibt eine Whatsapp-Gruppe. Da sind etwa 35 Leute inzwischen drin. Das sind so die aktivsten Spieler aus ganz Deutschland. Wir tauschen uns über die Gruppe aus. Da gibt es natürlich Leute, die beteiligen sich mehr und manche weniger. Aber es ist eine super Informationsquelle.
Was ist dann der nächste Schritt nach der Deutschen Meisterschaft?
Nitschmann: Es könnte sein, dass ich bei der Weltmeisterschaft mitspiele. Der Deutsche Tennisbund will demnächst eine Rangliste aufstellen. Ich gehe davon aus, dass ich qualifiziert bin. Man muss sich dann noch einmal international klassifizieren. Bei den Deutschen Meisterschaften habe ich in der Kategorie B3 gespielt, in der darf man den Ball zweimal aufsetzen lassen. Es kann sein, dass einen ein Augenarzt dann in eine andere einordnet. Da gibt es dann andere Regeln und Umstände auf dem Platz. In Birmingham ist das kürzlich einigen Spielern passiert, die hatten plötzlich besser Sehende als Gegner. Das ist dann eine Riesenumstellung.
Dann sehen wir Sie vielleicht bald auf dem internationalen Treppchen?
Nitschmann: Gut, ich spiele nur mit, wenn die Weltmeisterschaft in der Nähe ist. Also in dem Fall ist im Gespräch, dass sie in Italien oder irgendwo in Südamerika stattfindet. Das wäre mir dann aber zu weit.